Schlußspurt
10 km • + 20 hm • - 1.366 hm
Meine Nacht war denkbar bescheiden. Zum Glück hat mich unsere Vermieterin
gestern Abend noch mit einem Eisbeutel versorgt. Der Arm ist blau angelaufen
und dick geschwollen. Inzwischen haben sich die Schmerzen vom Unterarm hin zum
Ellenbogen verlagert. Bewegen kann ich das ganze Elend natürlich gar nicht
mehr. Ach so, geregnet hat es heute Nacht auch noch.
Nach dem Frühstück bringt mich unsere Vermieterin mit dem Auto zu
der Ambulanz in Sion. Wir waren hier gestern Abend tatsächlich knapp daran
vorbei gefahren. Geschlossen wäre sie allemal gewesen.
Roland, Rolf und Dave machen sich währenddessen auf in Richtung Sanetschpass
(2.551 m) …mit dem Postbus! Ein richtiges Abenteuer, wie ich später
erfahren sollte. Ich dagegen bin ganz glücklich, dass sowohl Arzt als auch
Personal in der Praxis einigermaßen deutsch sprechen. Schnell sind ein
paar Röntgenbilder geschossen, na ja das zweite mit den komplett ausgestreckten
Arm ist ziemlich schmerzhaft. Die Entwicklung dauert ein paar Minuten. Ich lasse
mir diese sofort geben als die Arzthelferin mit den Bildern ankommt und blicke
darauf: OK, kein Bruch sichtbar. Noch mal Glück gehabt.
Der Arzt verpasst mir noch eine Schlinge, versorgt mich mit einem Rezept für
Schmerztabletten und Sportgel und meint noch: “ich könnte die nächsten
Wochen zu Fuß weitergehen, mit dem Biken sei erst mal Schluss”.
Ich hole auf der Bank noch einige Schweizer Franken. um meine Rechnung zu begleichen
und versorge mich auf dem Weg zum Busbahnhof mit den verschriebenen Medikamenten.
Busbahnhof, gutes Stichwort. Hier hat der Rest unserer kleinen Gruppe inzwischen die endlose Diskussion mit dem Busfahrer über die Mitnahmemöglichkeit von Bikes auf dieser Stecke erfolgreich abgeschlossen. Sie befinden sich auf der langen Reise den Pass hinauf, wobei natürlich an jeder Milchkanne angehalten wird. Das natürlich nicht nur auf dem direkten Weg nach oben, sondern kreuz und quer den nördlichen Hang hinauf und wieder hinab.
Inzwischen ist wieder schönstes Wetter und ich habe mit dem Linienbus
wieder unsere Unterkunft in Vétroz (487 m) erreicht.
Schnell sind meine Sachen gepackt und ich sitze schon wieder auf dem Bike. Dieses
Mal allerdings unten im Tal auf dem Radweg in Richtung Martigny
(471 m). Dieser führt durch die Weinberge entlang der Rhone und wäre
an sich ganz nett zu fahren, wenn dieser unmenschliche Gegenwind nicht wäre.
Und dieser scheint hier des Öfteren zu wehen, sind doch komischerweise
alle Bäume entlang des Flusses nach Osten verbogen. Ziemlich schnell verfluche
ich die Entscheidung nicht mit dem Zug zu fahren. Zumal der Arzt mir sowieso
von Radfahren abgeraten hat .... und das einarmige fahren so schnell anstrengend
wird!
Dann erreiche ich das Rhoneknie nördlich von Martigny. Hier macht der Fluß
einen scharfen Knick nach Norden, er zwängt sich nahe einer Felswand durchs
Tal. Der Wind wechselt hier natürlich ebenfalls die Richtung und schlägt
mir an dieser Engstelle mit voller Wucht entgegen. 10 km/h zeigt der Tacho,
8, 7, 6…ich kämpfe mit aller Macht gegen diese Naturgewalt an…8
km/h… 10…15 km/h geschafft. Ich bin ziemlich platt. Hunger habe
ich auch schon wieder und es sind noch 15 km gegen den Wind bis nach St-Maurice
(413 m), wo mich die anderen mit dem Auto abholen wollen.
Ich wechsel die Rhoneseite und fahre weiter gegen den Wind an. In Evionnaz
(469 m) ist meine Motivation endgültig am Boden. Ich brauche erst einmal
was zu Essen. Natürlich haben mal wieder alle Geschäfte geschlossen
und die einzigste Gaststätte, an der ich vorbei komme sieht alles andere
als einladend aus. So fahre ich hungrig weiter. Dann die Rettung, eine Raststätte
am Straßenrand, geöffnet, mit richtigem Essen…unglaublich.
Schnell ist das Bike geparkt, eine Portion Nudeln und eine Cola bestellt.
Per SMS kommuniziere ich mit Roland und eine knappe Stunde später holen sie mich ab. Danach sind wir noch viele Stunden unterwegs, laden Dave in Karlsruhe ab und erreichen zum Schluss Aalen.
Fazit:
- Bitteres Ende ohne Trails. 8 Wochen nach dem Unfall entpuppt sich die Verletzung bei einem erneuten Arztbesuch als Radiusköpfchenfraktur. Im Oktober verbringe ich viel Zeit mit Krankengymnastik. Radfahren konnte ich nach 10 Tagen wieder, mit Messer und Gabel essen nach 11.
- Daneben hätte ich bei der Planung auf Dave hören und die Tour in Sion starten und enden lassen sollen. Das hätte uns am ersten Tag das Gewitter und mir heute den Kampf gegen den Wind erspart.