Auf königlichen Jagdstraßen
52 km • + 2.385 hm • - 2.559 hm • 06:44:00 Nettozeit
Morgens am Buffet bedienten wir uns gütlich. Endlich einmal ein richtiges Frühstück! Das konnten wir auch gebrauchen, warteten doch fast 2.400 Hm Steigung auf uns. Tja, Marco als Italiener reicht morgens ein Kaffee, aber ich zumindest lange richtig zu. ;-)
Der Regen hatte sich über Nacht verzogen und bei schönstem Wetter brachen wir auf ins Valle di Valasco und zur gleichnamigen Hochebene. Es dauerte nicht sehr lange und der Wirtschaftsweg wurde wieder gewohnt holprig und ungemütlich. Gerne hätten Gudrun und ich unsere Hardtails gegen die vollgefederten Rockys von Marco und Lorenz getauscht. Lorenz’ Leichtbaulaufrad zollte dem rauhen Untergrund jedoch trotz Federung mit einer gebrochenen Speiche Tribut. So hatte Gudrun ihre Ersatzspeichen wenigstens nicht umsonst mitgenommen!
Im Talkessel der Hochebene passierten wir schließlich ein 1668
erbautes Jagdschloss
(1.763 m) des italienischen Königs Vittorio Emanuele II. Ihm bzw.
seinen Edelrössern hatten wir die aufwendig gepflasterte Jagdstraße
zu verdanken, der wir an glasklaren, blau-türkisen Bergsseen
vorbei zum Bassa del Druos (2.628 m) hinauffolgten. OK,
von der Pflasterung sind leider nur kurze Teilstücke erhalten geblieben,
doch war der Weg auch so größtenteils gut befestigt. Anstatt
dem GTA in einem Schlenker über Rifugio Questa (2.388 m) zu folgen,
nahmen wir den direkten Weg zum Lago di Valscura (2.274
m). Von hier aus war bis zum Passo del Druos wieder hauptsächlich
Schieben angesagt, wobei wir faszinierender Weise von lauter grünen
Libellen begleitet wurden.
Die Schleife über Rifugio Questa soll sich übrigens wegen des
schönen Lago di Claus durchaus lohnen.
Mit Reparatur, Pausen und Fotoschießen brauchten wir fast 4 ½ Stunden bis zum höchsten Punkt der Etappe. Hier eröffnete sich uns ein grandioser Blick auf die Lacs de Terres Rouges (ca. 2.450 m) und die umliegenden Berge. Der Trail vom Pass herab brachte uns an den Seen vorbei mal wieder nach Frankreich, genauer nach Isola 2000 (2.010 m). Nach einigen Kehren verzweigt er in einen Pfad entlang der Höhe Richtung Süden und einen direkt ins Tal hinab, welcher nicht auf der Karte eingezeichnet war. Ersterer ist wahrscheinlich eher zu empfehlen. Wir nahmen den kurzen, sehr steinigen Single bergab, der mit trialtechnisch sehr interessanten Passagen aufwarten konnte - in meinen Augen der bisher genialste Trail der Tour. Leider teilten die anderen meine Begeisterung eher weniger. Daher die Empfehlung doch lieber auf dem anderen Pfad weiterzufahren. ;-)
Isola 2000, der verlassenen Retorten-Stadt mit dem künstlischen
Namen und all ihren Hotelkomplexen, wollten wir so schnell wie möglich
den Rücken kehren. Die breiten Ski- bzw. Schotterpisten zogen wie
graue Narben die kahlen Hänge hinab. Wirklich kein schöner Anblick!
Wir nahmen Flucht auf einer Asphaltstraße – welch ungewohnter
Luxus, hinauf Richtung Grenze, zum Colle della Lombarda
(2.351 m). Auf der italienischen Seite folgten wir dem GTA ein kleines
Stück und bogen in einen unterhalb verlaufenden Trail entlang des
Hangs ein. Er führte uns ins Vallone d’Orgials,
wo wir auf einem Kiesweg bis zur Asphaltstraße bergab rollten. Anschließend
ging es auf der Straße
bergauf zu Sant Anna di Vinadio (2.010 m), Europas höchstgelegenem
Kloster, wo wir uns für den letzten Anstieg des Tages stärkten.
Vom Kloster aus folgten wir erst einmal wieder dem GTA-Steig. Nach einer
Stunde Fahren (eher weniger), Schieben
und Tragen (eher mehr) an der Flanke des Bergkamms waren wir endlich beim
Passo di Bravaria (2.311 m) angelangt. Mit dem Wetter
schienen wir noch einmal Glü
ck gehabt zu haben. Aus dem bewölkten
Himmel hatte es zwar kurz getröpfelt - was Lorenz immer zu Höchstleistungen
anspornt - doch sollte es bei den wenigen Tropfen bleiben. Es folgte eine
flüssige, unverblockte Trail-Abfahrt von 1.000 Hm, bei dem auch Gudrun
trotz Hungerast und verstauchter Hand - Respekt! - voll auf ihre Kosten
kam. Ich selber stellte mich super geschickt an und blieb bei einer engen
Stelle zwischen einem Wacker und einer Wurzel stecken. Dabei brach die
Außenhülle des Schaltzugs am Schaltwerk. Toll!
Die größte Herausforderung des Pfads war es schließlich
den 'Tretminen' der Bimmel-Rinder auszuweichen, was sich letztlich doch
nicht vermeiden ließ. Die Abfahrt verlief auf dem einzigen Weideweg!
In Bagni di Vinadio angekommen bogen wir vom GTA auf die Straße ein und fuhren hinter Tetti di Trocello in einem Bogen über die westlichen Talseite nach Sambuco (1.135 m). Auf dem Weg dorthin heizten wir bergab durch unbeleuchtete Tunnel, dem nächsten Adrenalin-Kick entgegen. Bei einem wurde es schlagartig so finster, dass Marco vor mir urplötzlich in die Eisen ging. Ich zog den linke Bremshebel bis zum Lenker durch, doch nichts passierte! Mit blockiertem Hinterrad kam ich gerade noch an Marco vorbei. Tja, die Louise FR hatte in den letzten Tagen gut Luft gezogen. Ohne vorheriges Pumpen ging gar nichts.
In Sambuco waren die Lager bereits mit deutschen Wanderern belegt und so kamen wir in einem gemümtlichen Hotelzimmer der Posto Tappa unter. Vom Besitzer bekamen wir schließlich auch wertvolle Tipps für die nächste Etappe. Er ist selber Biker und -wie wir später noch erleben durften - mehrfach ausgezeichneter Koch. :-)