Im Abfahrtsrausch
35 km • + 1.200 hm • - 3.400 hm
Wir wachen früh auf in unserem Notlager bei der Similaunhütte
(3.017 m). Wir haben erstaunlich gut geschlafen in dieser Höhe. Auch das
Frühstück bringen wir schnell hinter uns. Heute ist Downhill-Tag,
uns erwarten in Summe über 3.400 Höhenmeter alpiner Singletrail. Bereits
um 7.00 Uhr sitzen wir auf unseren Bikes.
Der Weg hinab zum Vernagt-Stausee (1.690 m) liegt noch im Schatten.
Bei den gängigen Transalp-Übergängen hat das Niederjoch den Ruf
eine der schwierigsten Abfahrten zu besitzen. Auf nur einem Kilometer Strecke
verliert man 500 Höhenmeter. Es geht durch verblockten Granit, steile Felskaskaden
und durch enge Kehren. Harry und ich sind diesen Trail schon einmal gefahren,
Dave haben wir schon seit langem den Mund wässerig gemacht. Wieder einmal
spielen wir mit Felsen, Stufen und
Kehren am Abgrund. Freude pur! Leider können wir unser Vorhaben, die
komplette Abfahrt fehlerfrei auf dem Bike zu absolvieren nicht
ganz umsetzen, da uns einige schwierige und ausgesetzte Stellen am Abgrund
trotz aller Fahrkünste zu gefährlich erscheinen.
Harry: Ich brauche noch die ersten Meter, um mich einzufahren und warm zu werden. Doch schon nach der vierten Kehre läuft´s wie geschmiert. Gezieltes anbremsen, das Hinterrad versetzen und den Allerwertesten weit hinter den Sattel bringen für die verblockten, steilen Felsabschnitte. Zwei ausgesetzte Passagen verweigere ich dann, man muss ja nicht alles riskieren.
Schließlich erreichen wir unter der beinahe senkrechten Wand den Schuttkegel
und somit den einfacheren Trail im unteren Teil der Abfahrt. Bei einem Felsbrocken
fange ich mir wegen eines Fahrfehlers einen Durchschlag
am Hinterrad ein. Wenn man wie wir in diesem Gelände mit Reifendrücken
um 1 bar unterwegs ist, sollte man doch allzu heftige Kanten am Hinterrad vermeiden.
Beim Wechseln des Schlauches bemerke ich noch, das bei mir ein Speichennippel
abgerissen ist. Ich tausche ihn bei dieser Gelegenheit gleich mit aus.
Nach der flowigen Trail-Abfahrt, die aber
immer wieder mit fahrtechnischen Herausforderungen gespickt ist, erreichen wir
schließlich den Vernagt-Stausee.
Harry: An Daves Dauergrinsen, das ihm wie ins Gesicht gemeißelt ist, kann man schnell erkennen, dass Carsten und ich ihm bei der Abfahrt vom Niederjoch nicht zuviel versprochen haben ?
Leider hat sich die Sonne so früh am Morgen auf dem Trail erst gar nicht
blicken lassen, ein klarer Nachteil, wenn man so zeitig unterwegs ist, zumindest
hier. Wir legen die Protektoren ab und verstauen sie mit den inzwischen überflüssigen
warmen Kleidungstücken im Rucksack. Weiter geht es auf der Straße
den See entlang das Schnalstal hinauf. Im Gasthof Gerstgras
(1.767 m) kaufen wir noch ein paar Kleinigkeiten und füllen unsere Trinkflaschen
auf. Leider bleibt diese Rastmöglichkeit bis auf weiteres die einzige.
Nun folgt die Fahrt auf der Straße Richtung Kurzras (2.011
m) bis zu Koflerhöfe (1.926 m), wo wir in den Wanderweg
Nr. 5 einbiegen. Ein ca. 2 m breiter Almweg führt über grausig steile
Rampen durch einen wunderschönen, lichten Lärchenwald. Wir blicken
zurück auf das Skigebiet am Ende des Schnalstales während wir uns
langsam nach oben arbeiten. Immer wieder kann gefahren werden, aber an einigen
Rampen würde ich selbst mit Klickpedalen und einem leichteren Bike absteigen
müssen. Knapp über der Baumgrenze wird die Landschaft noch mal flacher.
Eine malerisch gelegene Alm befindet sich im Lagauntal, Pferde
grasen auf der Weide, beinahe kitschig schlängelt sich ein Bach über
die satt grünen Wiesen.
Wir durchschreiten nun den Latschengürtel auf einem schmalen Trail,
der das Schieben der Bikes erschwert. Wir stoppen immer wieder, verschnaufen
und genießen die großartige Landschaft und die absolute Einsamkeit
an diesem fast unbekannten Übergang ins Vinschgau. Dann beginnt abermals
ein heftiges Schiebe- und Tragestück
Richtung Tarschel Jöchl. Wir haben die Latschenkiefern hinter uns gelassen,
die Vegetation nimmt immer mehr ab und bald befinden wir uns wieder in einer
trostlosen Geröllwüste. Der
Trail mit seinen unzähligen engen Kehren
ist dabei jedoch derart schön, dass es schmerzt hier hochschieben zu müssen
anstatt ihn runterzusurfen.
Nochmals queren wir einen mit groben Brocken durchsetzten Bereich bis wir nach
fast 800 Höhenmetern schweißtreibender Schinderei endlich das Tarschel
Jöchl (2.772 m) erreichen.
Auf dem Joch stehen die Reste der 'alten'
Heilbronner Hütte, welche 1933 abbrannte. Ein kleiner Hinweis für
alle die schon mal wie ich bei der Neuen Heilbronner Hütte waren und sich
verwundert fragten, wo denn nun die Alte abgeblieben sei.
Wir blicken zurück und können sogar die Similaunhütte
auf dem Niederjoch am Horizont erkennen - hier waren wir nur wenige Stunden
zuvor gestartet.
Nun beginnt eine Freeride Abfahrt, die ihresgleichen sucht. Wenn man Spitzkehren
mag, kann man hinunter ins Vischgau in einen wahren Rausch kommen. Doch zunächst
erwartet uns eine verblockte Granitpassage,
wo nochmals Konzentration und präzises Lenken gefordert sind. Ich warte
kurz auf einer Anhöhe vor der Schwarzen Lacke (2.671 m)
um von Dave und Harry weiter unten Fotos zu machen. Der gewölbte Talkessel
wartet hier mit einem akustischen Phänomen auf. Obwohl ich die Beiden gar
nicht sehe und sie einige hundert Meter von mir entfernt durch die Felsen trialen,
höre ich ihre Stimmen so laut und deutlich als befänden Sie sich direkt
neben mir. Nach einigen äußerst anspruchsvollen Felspassagen fahren
wir schließlich an der schwarzen Lacke
vorbei Richtung Kortscher See (2.510 m). Hier wandelt sich
der Charakter des Trails abermals. Erst fahren wir über große Slickrocks
ab, um uns gleich darauf mitten in einem großen Schuttkegel wiederzufinden.
Alles ist in Bewegung, ein Pfad ist kaum zu erkennen. Sandige lockere Abschnitte
wechseln sich ab mit Bereichen voller lose geschichteter und wackeliger Platten.
Doch auch dieser Abschnitt ist mit den
entsprechenden fahrtechnischen Kenntnissen machbar. Am See rutscht Harry im
flachen Bereich an einer Felsplatte aus und springt vom Rad. Genau an dieser
Stelle fahre ich mir gleich darauf meinen zweiten Platten des Tages ein, abermals
ein Fahrfehler.
Nach der Reparatur am Bergsee geht es
weiter durch zahlreiche Serpentinen. Der
Trail ist hier sehr schnell
und flüssig fahrbar. Nach der Querung eines Baches geht es weiter auf
einem schmalen Wald- und Wurzelpfad am
Hang entlang ins Tal. Schließlich erreichen wir nach über 800 Höhenmetern
Trail-Vergnügens eine Schotterpiste und kehren wenig später in der
Schlanderer Alm (1.900 m) ein. Mit
Brettljause, Speck, Käse und leckerem Holundersirup bekämpfen
wir den inzwischen mächtigen Kohldampf. Um uns hoppeln (und poppen) Hasen,
während sich einige Hühner für unsere Bikes begeistern.
Harry: Was war das bis jetzt für ein genialer Tag. Über 2200 Höhenmeter auf Trails vernichtet, die ihresgleichen suchen. Da kam uns die urige Schlanderer Alm wie gerufen, ist sie doch auch die einzigste Einkermöglichkeit übers Tarscheljöchl.
Nach der Rast geht es auf einer steilen Schotterpiste rasant ins Tal. Schnell
sind 600 Höhenmeter platt gemacht. Gerade noch entdecken wir den Abzweig
in den Weg Nr.4. Wir stoppen kurz um die Protektoren wieder anzulegen, dann
geht es durch den Kiefernwald hinab auf einer wahren Bremsteststrecke. Schließlich
biegen wir in einen Waalweg ein. Die Wege sind uralte offene Wasserleitungen,
neben denen sich ein schmaler Pfad befindet, der früher zur Kontrolle und
Reinigung der wichtigen Wasserleitungen diente. Auf Trails fahren wir ab bis
in die Ortsmitte von Schlanders (800 m).
Danach geht es weiter auf dem Radweg durchs Vinschgau bis Morter
(729 m), wo wir nach einer Bushaltestelle suchen. Während der kurzen Wartezeit
wird die Hitze hier unten im Tal unerträglich. Wir trinken noch kurz einen
Kaffee in einer benachbarten Bar. Dann verladen wir die Bikes in den Linienbus.
Die Busfahrt bis Martello (1.280 m) ist schnell vorüber.
Während wir auf den Anschluß warten, der uns das Martelltal
ganz hinauf fahren wird, flicke ich bei einem Bier meine zwei Schläuche.
Bei der weiteren Busfahrt machen wir Erkundigungen bezüglich unserer morgigen
Wegplanung. Ein Wanderer mit Eispickel in der Hand traut uns die Route zu, ein
Bergführer rät uns jedoch ab. Er hält die Überschreitung
des Langenferner Gletschers mit dem Bike zwar prinzipiell für machbar,
aber ohne die entsprechende Ausrüstung für zu riskant.
Bei unserer Ankunft im Gasthof Schönblick (2.088 m) sind
wir etwas verunsichert. Während des Abendessens beginnt es heftig zu regnen.
Lange sitzen wir über den Landkarten und beratschlagen was zu tun ist und
welche Routen wir alternativ nehmen könnten.
Was wird morgen?
Ach so, meine Blasen. Die Blasenpflaster haben mir den Tag erträglich gemacht, auch wenn´s nicht wirklich so aussieht.