Die Gondel-Enttäuschung
60 km • + 1.200 hm • - 2.200 hm
Das Matratzenlager im Rifugio Campo (1.989 m) ist echt urgemütlich.
Ein flacher Raum unter dem Dach der urigen Blockhütte
ist mit Matratzen ausgelegt und eine steile schmale Stiege führt nach oben.
Nur ein kleines Fenster lässt Luft in den Raum und die Sonne des gestrigen
Tages hat alles aufgeheizt. Ich liege nur mit einer kurzen Hose bekleidet auf
meinem Hüttenschlafsack und schwitze wie in der Sauna. Irgendwie hat mein
linker Daumen bei meinem Sprung ins Geröll unterhalb der Casati Hütte
doch etwas abbekommen. Er schmerzt nun auf jeden Fall.
Eigentlich hätten wir unsere Tour schon heute in Bormio
(1.225 m) beenden können, haben wir doch alles erreicht, was wir uns vorgenommen
hatten und jeden Tag bei besten Wetterbedingungen einen Volltreffer gelandet.
Ab jetzt beginnt der gemütliche Teil der Tour.
Nach dem Frühstück fahren wir auf der Schotterpiste
hinab nach Valfurva (1.324 m). Zunächst machen die Serpentinen
Spaß, aber ich kann wegen meinem schmerzenden Daumen nicht so schnell
fahren, wie ich es gerne täte. Dann beginnt eine Straße. Am Ende
schmerzt die Tatsache noch mehr hier sinnlos Höhenmeter auf Asphalt zu
vernichten. Dazu kommt, dass sich die Reifen mit dem geringen Luftdruck in der
Kurve grausig anfühlen. In Valfurva finde ich gleich am Dorfplatz eine
Apotheke, wo ich einen elastischen Verband kaufen kann. Jetzt kann ich den Daumen
mit einem Salbenverband versehen und problemlos weiterfahren.
In Bormio steuern wir direkt die Talstation von Bormio 3000 an. Mit der Seilbahn
geht es nach oben. Leider haben wir es versäumt, hier vorab nach einer
anständigen Abfahrt zu recherchieren. Ich hatte die Seilbahngeschichte
eigentlich ganz verdrängt, da sie nicht direkt auf unserer geplanten Route
liegt und erst gar keinen Kartenausschnitt von dem Berg eingepackt. Es sollte
sich mal wieder bewahrheiten, das schlampige Vorbereitung auf einer Mountainbiketour
selten zum Erfolg führt.
Wir fahren also mit der Seilbahn nach oben und stehen bald darauf auf einer
riesigen Skipiste. Irgendwie haben die hier den ganzen Berg platt gewalzt. Trails
gibt es in Richtung Bormio keine (Rey und Frischi waren bei der Alta
Rezia Freeride Tour in anderer Richtung unterwegs), dafür fahren wir
durch eine 200 Meter breite Geröllwüste. Wenigstens ist das Panorama
hier oben echt sehenswert. Wir blicken noch mal zurück zur Casatihütte
(3.254 m), zum Gipfel des Cevedale (3.778 m) und zum Ortler
(3.905 m), dem höchsten Berg Südtirols. Im Nordwesten erblicken
wir unseren weiteren Wegverlauf zum Lago Cancano und nach Livigno.
Nach einer völlig sinnlosen Höhenmetervernichtung auf Skipisten
und Schotterwegen erreichen wir schließlich wieder Bormio.
Wir kaufen in einem kleinen Alimentari Brot, Käse, Mortadella und Salami
und rasten auf dem
Platz vor einer großen Kirche.
Ab hier beginnt quasi ein fast klassischer Alpencross-Tag für uns. Es gibt
keine stundenlangen Tragepassagen, keine unbekannten Übergänge und
keine halsbrecherischen Abfahrten mehr. Also geht es tretenderweise die Serpentinen
in Richtung Torri di Fraele (1.941 m) hinauf. Die Sonne brennt
unbarmherzig auf den schattenlosen
Weg. Mein Thermometer am Tacho zeigt 39°C. Dave und ich kurbeln die
650 Höhenmeter schnell hinauf und just als ich die Torri di Fraele erreiche
hält ein Jeep
an. Und wer steigt aus? Harry, freudestrahlend, hat er sich so doch einige der
schweißtreibenden Höhenmeter erspart.
Harry: Carsten und Dave sind mir gleich davongefahren.
Ich kämpfte mich im schattenlosen Hang durch die Brut Hitze. Als ich 1/3
des Schlussanstiegs zu den Torri di Fraele hinter mir hatte habe ich einen Jeep
gestoppt, der mir den Rest des Aufstiegs ersparte. Als Belohnung bekam ich noch
eine Schale mit leckeren Himbeeren gereicht. Bei den Torri di Fraele hat Carsten
nicht schlecht gestaunt, als er mich noch vor Dave erblickte.
Es kam noch eine Gruppe von vier Bikern dazu. Irgendwie kam mir einer davon
bekannt vor. Jener fragte uns noch, ob wir Schwaben wären. Ich sagte: “Ja,
und Ihr kommt sicherlich von Pforzheim und Umgebung.“ Grosses Erstaunen
in Ihren Gesichtern. Dann machte ich weiter: „Und Du staunst gleich noch
mehr ... denn Du kommst aus Wiernsheim.“ Als ich noch seinen Namen sagte
waren alle platt.
Ich kannte die Truppe vom Internet (www.biketreff-niefern.de)
und komme doch selbst noch aus Wiernsheim.
Nach einer kurzen Rast fahren wir weiter in Richtung Lago
di Cancano (1.884 m). Meine Trinkflaschen sind leer und ich habe
Durst. Weiter geht es entlang des Südufers bis zum Rifugio San
Giacomo (1.950 m). Wir bleiben aber schon kurz vor dem Rifugio bei
einer bewirteten Hütte hängen, genehmigen uns ein Radler und faulenzen
ein wenig im Liegestuhl.
Der Schotterweg in
Richtung Trela Alm ist steil und irgendwie hat das Radler das
letzte bisschen Kraft aus unseren Beinen gesaugt.
Dave: Während wir den Weg hochkurbeln kommt uns auf einmal ein Biker entgegen. In einer recht weiten, völlig unspektakulären Schotterkurve schießt er an uns vorbei ... und stößt laut ein selbstbewusstes „Yeaaaah!“ hervor. Wir sind beeindruckt ... genauso wie seine Freundin, welche kopfschüttelnd hinter ihm herfährt. Dafür hat Harry nun einen neuen Kampfruf!
Nach der steilen Passage führt der Weg kurz durch eine enge Schlucht.
Bald darauf öffnet sich das Tal und mitten auf einer großen Wiese
steht die Trela Alm. Inzwischen ziehen wieder einmal Wolken auf. Den Trail zum
Trela Pass (2.295 m) legen wir schon im Schatten der Wolken
zurück. Der Weg ist größtenteils fahrbar und führt durch
welliges Gelände hinauf zum Pass. Kurz bevor wir diesen erreichen beginnt
es zu tröpfeln. Kaum auf dem Trela Pass angekommen, beginnt ein Wolkenbruch.
Schnell sind die Regenjacken übergezogen. Die schnelle und flowige Trailabfahrt
absolvieren wir im Schlamm, der sich hier sofort bildet, wenn Regen auf den
erdigen Boden fällt. So schnell wie der Regenschauer gekommen ist, hört
er jedoch auch wieder auf. Kurz nach der Baita della Gera (2.186
m) scheint bereits wieder die Sonne und wir beginnen zu schwitzen. Im Val
Pila wechseln wir die Bachseite. Ein kurzer Gegenanstieg zwingt uns
hier nochmals aus dem Sattel. Danach folgt eine rasante mit Sprüngen und
Anliegern gewürzte Abfahrt hinunter zum Lago Livigno (1.805
m). Hier können wir endlich unsere eigentlich für den Trelapass geplante
Vesperpause nachholen. Nach der Abfahrt im Schlamm sehen wir aus wie durch den
Kakao gezogen.
Nach kurzer Hotelsuche in Livingo (1.816 m) beziehen wir Quartier.
In einem 3 Sterne Hotel können wir ein Zimmer mit Habpension für 55,-EUR
inkl. Viergänge-Menü ergattern. Nach dem Waschen der Kleidung im Waschbecken
des Badezimmers genießen wir das reichhaltige Abendessen und lassen den
Tag bei einem Glas guten Wein ausklingen.