Eine Hochebene
74 km • + 2.398 hm • - 1.555 hm • 07:15:00 Nettozeit
Der Blick aus dem Fenster zeigt und schon vor dem Aufstehen unser erstes Ziel
des Tages. Der Monte Ortigara (2.105 m) steht in seiner vollen Größe
auf der anderen Talseite vor uns. Die Auffahrt zu ihm macht von dort unten schlappe
1.800 Höhenmeter. Also heißt es gut frühstücken. Auf der
Terrasse des Hotels, mit Blick auf den Ortigara beherzigen wir das gerne und
langen beim Buffet zu.
Von Spera (553 m) bis Ospedaletto (360 m) geht
es noch mal 200 Höhenmeter hinab. Das Tal ist bekannt für den Hitzestau,
der sich bei warmem Wetter hier bildet. Wir sind froh früh dran zu sein und
den Anstieg nicht in der Mittagssonne machen zu müssen. Auf unserer Karte
geht der angeblich breite Weg 227 nach Ospedaletto rechts vom Bach entlang den
Hang des Ortigara hinauf. Der Weg aus der Zeit des Ersten Weltkrieges ist völlig
zugewachsen. Beim ersten Tunnel
bemerken wir erst, dass er einst die Breite einer Fahrstraße hatte. Wir
fahren durch, filmen und biken weiter.
Carsten: „Ich habe mich schon am Anfang gewundert, warum der dick in der Karte eingezeichnete Weg so zugewachsen ist. Erst als wir den ersten Tunnel entdecken bin ich mir sicher überhaupt auf dem richtigen Weg zu sein...zumindest für die nächsten 5 Minuten....“
Im dritten Tunnel sehen wir dann das Elend! Er ist in der Mitte eingestürzt.
Carsten und Dave klettern durch den Felssturz an das Tageslicht. Dave findet
außen noch einen Fußpfad der schließlich jedoch an einer breiten
Felswand endet. Es gibt kein weiterkommen. Nur ein paar Fledermäuse werden
aufgeschreckt. Es bleibt uns nichts anderes übrig als umzudrehen uns bis
zu dem kleinen Örtchen Selva (267 m) abzufahren. In der
Zwischenzeit ist es richtig heiß geworden. Und wir sind immer noch im
Tal. So tief unten wie noch nie an diesem Tag!
Jetzt geht es zum Anstieg. Über einen Fahrweg kommen wir kurz über
dem Örtchen Selva nach einigen Serpentinen wieder auf den Militärweg.
Hier jedoch wird er regelmäßig benutzt und ist nicht derart zugewuchert
wie im unteren Abschnitt.
Carsten: „Es ist irrsinnig heiß und schwül, und das um 10.00 Uhr morgens. Ein Glück das wir gestern Abend noch den Cinque Croci gemacht haben, sonst wäre es hier wohl noch mal 10°C heißer. Ich habe schon die erste Bikehose naß geschwitzt, mein Hintern ist völlig wund gesessen, der billige Plastiksattel auf dem Coach heizt sich auf 60°C auf, zumindest fühlt es sich so an...“
Rolf: „…und sieht auch so aus!. Als Carsten die Hose wechselt fahre ich gerade vorbei und wünsche mir eine Digicam in die Hand. Der weiße Hintern mit knallrotem Sattelabdruck, gerade dass er nicht auch noch raucht…einfach unglaublich!“
Bis zum Rifugio alla Barricata (1.351 m) sind es 1.100 Höhenmeter.
In einem Zug fahren wir sie durch. Unsere Verwunderung ist nicht gering, als
wir oben angekommen eine Menschenmenge ähnlich einem Volksfest vorfinden.
Es ist Sonntag, ein großes Bierzelt ist aufgestellt, Volksmusik wird gespielt
und überall stehen Autos. Das Rifugio Alla Barricata ist von der Südseite
aus mit dem Auto erreichbar und somit ein beliebtes Ausflugsziel.
Wir füllen unsere Trinkflaschen und fahren einige hundert Meter weiter.
Die Sonne ist auf einmal weg. Jetzt wo wir oben sind wird es auch noch kühl.
Wir picknicken auf einer Wiese und machen uns dann weiter auf für die nächsten
700 Höhenmeter bis zum Bivio Italia. Die Hochebene des
Monte Ortigara war im Ersten Weltkrieg stark umkämpft. Auf den Weg hinauf
kommen wir ständig an den Resten von Festungsanlagen und Gedenktafeln
vorbei. Die Sonne kommt wieder heraus. Es geht aufwärts und schon steht
sie über uns. Die Hochebene ist alles andere als eben. Auf dem Weg zum
Bivio Italia geht es ständig 150 Höhenmeter hinab um dann wieder 300
aufsteigen zu müssen.
Dave: „Die Wege haben einen steinigen Untergrund und sind alles andere als bequem befahrbar. Immer wieder gehen wir aus den Sätteln, um unsere geschundenen Hintern zu schonen.“
Dazu kommt, dass wir uns bei dem
dichten Netz von Wegen und Fahrstraßen
verfahren. Der Umweg kostet uns mehr als eine halbe Stunde. Nicht gerade angenehm
auf einer Hochfläche, die für ihre Wasserarmut bekannt ist. Den nächsten
Brunnen gibt es nach den uns vorliegenden Angaben erst in 40 Kilometern. Doch
durch unseren Umweg kommen wir an einer Wassersammelstelle vorbei.
Wir kommen an höhlenähnlichen Bunkeranlagen vorbei und erreichen schließlich
das Bivio Italia. Die Abzweigung liegt mitten im Nichts der kargen durch das
Kriegsgeschehen aufgewühlten Landschaft. Kaum haben wir uns zur Abfahrt
bereit gemacht zieht Nebel auf. Die Landschaft wird gespenstisch. Wir machen
uns auf den Weg und kommen an den Überresten einer Kirche und eines Lazarettes
vorbei. Der Nebel streicht mit seinen Schwaden weich über die Bunkeranlagen
und Schützengräben neben dem Weg.
Wir passieren eine große Schafherde. Ein Hirte hat soeben ein Lamm geschlachtet.
Er kommt mir mit dem blutenden Fell entgegen. Das Tier hängt an einem Baum.
Die Hunde sind aufgeregt und tragen Maulkörbe.
Ich filme die Szenerie. Die Hirten sind äußerst nett und versuchen
mit uns ins Gespräch zu kommen. Unsere mangelnden Sprachkenntnisse verhindern
leider tiefer gehende Gespräche.
Es geht weiter an einem alten Militärfriedhof vorbei. Der Weg steigt wieder
an. Noch mal geht es 150 Höhenmeter hinauf. Wieder Schafe und ein alter
Hirte am Rand des Weges. Dann geht es endlich abwärts. Es ist schon wieder
später Nachmittag. Seit der Rast am Rifugio alla Barricata sind schon wieder
fast fünf Stunden vergangen.
Wir fahren ab bis zur Malga Larici (1.625 m).
Eine große Portion Pasta bringt uns wieder auf die Beine. Von Hochebenen
haben wir jedoch erstmal genug. Per Handy verabreden wir uns mit dem Filmteam
am ehemaligen Forte Busa Verle. Es ist klar, dass wir dieses
in der schönsten Abendstimmung erreichen werden. Um sie nicht zu verpassen
schwingen wir uns gleich nach den Nudeln wieder in die Sättel. Ein paar
Meter geht es noch mal bergauf, dann aber schnell hinab.
Wir erreichen die Festung und machen Fotos. Micha und André kommen soeben
auch von dem weiter unten liegenden Parkplatz herauf gelaufen. Es ist für
uns die erste große Festungsanlage
der Tour. Es steht nur noch die vordere Front
des Gebäudes, dahinter liegt nur Schutt. Die Festung hat den Ersten
Weltkrieg zwar schwer beschädigt überlebt, wurde aber in der Zeit
des Wirtschaftsembargos gegen Italien in der 1930er Jahren zerstört, um
an das darin verbaute Eisen zu gelangen. Ein Los, das bis auf das heute noch
erhaltene Werk Belvedere/Gschwend, alle großen Festungsanlagen hinnehmen
mussten.
Die Sonne geht unter und wir bekommen am Passo di Vezzena (1.404 m) die letzten sechs Betten. Das Küchenpersonal ist zum großen Teil schon nach Hause gegangen, als wir uns an den Tisch setzten. Das letzte Essen, das es gibt ist dennoch sehr lecker. Der Wein scheint direkt ins Blut zu gehen. Wir teilen uns zu sechst einen Liter doch schlafen alle davon selig in den nächsten Morgen.